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Recht und Gesetz

Im November 1958 gab der Fischer-Taschenbuchverlag in erster Auflage das von Friedrich Heer zusammgenstellte Buch Gottfried Wilhelm Leibniz heraus. Im Dritten Teil

 Der größere Gott, der größere Mensch,

Kapitel II

aus der Angst und Enge des Zeitalters der Konfessionen zur Welt-Frömmigkeit und All-Kommunikation,

findet sich unter Ziffer 2 auf Seite 194 folgende Äußerung Leibnizens zum Thema “Gerechtigkeit”:

Ebenso steht es mit der Gerechtigkeit. Wenn dies ein fester Ausdruck ist, der eine bestimmte Bedeutung hat, mit einem Worte, wenn dies Wort nicht einfacher, sinnloser Schall ist, wie »blitiri«, dann wird sich dieser Ausdruck oder dieses Wort »Gerechtigkeit« doch irgendwie definieren oder durch einen verständlichen Begriff erklären lassen. Aus jeder Definition aber kann man, indem man sich der unbestreitbaren logischen Regeln bedient, sichere Folgerungen ziehen. Und eben das tut man im Aufbau der notwendigen und streng beweisenden Wissenschaften, die nicht von den Tatsachen, sondern allein von der Vernunft abhängen, wie dies für die Logik, die Metaphysik, die Arithmetik, die Geometrie, die Wissenschaft von der Bewegung und auch für die Wissenschaft vom Rechte gilt. Denn diese alle haben ihr Fundament nicht in Erfahrungen und Tatsachen, sondern dienen dazu, von den Tatsachen selbst Rechenschaft zu geben und sie im voraus zu regeln; und das hätte für das Recht selbst dann Geltung, wenn es auch in der ganzen Welt kein Gesetz gäbe.

Der Fehler derer, welche die Gerechtigkeit von der Macht abhängig gemacht haben, kommt zum Teil daher, daß sie Recht und Gesetz verwechselt haben. Das Recht kann nicht ungerecht sein — das wäre ein Widerspruch —, aber das Gesetz kann es sein. Denn das Gesetz wird durch einen Machtspruch eingeführt und aufrechterhalten. Und wenn es der Macht nun an Weisheit oder gutem Willen fehlt, so kann sie recht schlechte Gesetze einführen und aufrechterhalten.

Zum Glück für das Ganze der Welt sind die Gesetze Gottes stets gerecht, und er ist imstande, sie aufrechtzuerhalten, wie er das auch zweifellos tut, obgleich dies nicht stets in sichtbarer und unmittelbarer Weise geschieht, wofür er sicherlich gewichtige Gründe hat.
Es handelt sich also darum, endlich den Formalgrund der Gerechtigkeit und den Maßstab zu bestimmen, an dem wir die Handlungen abmessen müssen, um zu erfahren, ob sie gerecht sind oder
nicht. Nach allen vorhergehenden Erörterungen nun konnte man diesen schon voraussehen: »gerecht« ist, was in gleichem Maße der Weisheit und der Güte gemäß ist. Die Güte geht darauf aus, das größtmögliche Gute zu erreichen; um dies jedoch zu erkennen, bedarf sie der Weisheit, die nichts andres als die Erkenntnis des Guten ist, so wie die Güte nichts andres ist als die Neigung, allen Gutes zu erweisen und das Böse zu verhindern, wofern es nicht für ein größeres Gutes oder zur Verhinderung eines größeren Übels notwendig ist. Es wohnt demnach die Weisheit dem Verstande und die Güte dem Willen, die Gerechtigkeit somit ihnen beiden inne. Die Macht ist etwas ganz andres. Wenn sie jedoch hinzutritt, so bewirkt sie, daß aus dem Rechte eine Tatsache wird, und daß, was sein soll, auch wirklich existiert, soweit wenigstens, als die Natur der Dinge dies erlaubt. Und eben dies ist Gottes Tätigkeit mit Bezug auf die Welt.
Da aber die Gerechtigkeit auf das Gute geht, und Weisheit und Güte, die vereint die Gerechtigkeit bilden, sich auf das Gute beziehen, so wird man fragen, was denn eigentlich das wahre Gute ist. Ich antworte, daß es nichts andres ist, als was der Vervollkommnung der verstandesbegabten Substanzen dient. Demnach sind offenbar Ordnung, Zufriedenheit, Freude, Güte und Tugend ihrem Wesen nach etwas Gutes und können niemals schlecht sein, während die Macht, von sich aus, gleichfalls ein Gut ist, weil es, wenn alles übrige gleichbleibt, besser ist, sie zu haben, als sie nicht zu haben. Sie wird indessen ein sicheres Gut nur dann, wenn sie Mit Weisheit und Güte vereinigt ist . . .
Man wird also vielleicht sagen können, daß die Vorschrift, niemand Unrecht zu tun, »neminem laedere«, die des sogenannten ius stricturn ist, daß es indessen eine Forderung der Billigkeit ist, auch am rechten Platze Gutes zu tun, und daß eben dies der Sinn der Vorschrift ist, die uns befiehlt, jedem das zukommen zu lassen, was ihm gehört, »suum cuique tribuere«. Was aber hier das Rechte ist, das läßt sich aus der Regel der Billigkeit oder der sozialen Gleichheit erkennen:

 »Quod tibi non vis fieri aut quod tibi vis fieri, neque aliis facito aut negato.«

Es ist dies die Regel der Vernunft sowohl wie unsres Herrn.

Versetze dich an die Stelle des andern und du wirst den rechten Gesichtspunkt einnehmen, um zu beurteilen, was gerecht ist oder nicht. . .

Diese Erkenntnis Leibnizens ist bis auf den heutigen Tag gültig.

Und sie kommt nicht von ungefähr:

“Dieser Jursit, dieser Rechtsdenker, dem gerade auch die Theologie fundamentals juridisch bestimmt erscheint, sieht das Unrecht und die Gewalttat in der großen und kleinen Politik der europäischen Herren und Mächte seiner Zeit einen erschreckend großen Raum einnehmen. Diese Staatsmänner; Politiker und Denker glauben, so scheint es, in Wirklichkeit nur an die Macht der Gewalt. Sie sind fasziniert vom Glanz ihrer Waffen, ihrer Staatsmacht, ihrer “Haupt- und Staatsaktionen”. Und sie sind überzeugt, das jedes Mittel, sich durchzusetzen, recht ist, ja Recht schaff; und daß der “heilige”, der gute Zweck die Mittel rechtfertigt.” - So Friedrich Heer in seiner Einleitung auf S. 15.

Es ist nicht schwer zu erkennen, daß diese Einstellung der Fürsten des Hochbarock sich bis zum heutigen Tage in das Establishment der “demokratischen Geselschaften” hinüberretten konnte und heute mehr denn je fröhliche Urständ feiert.

Daß es so ist, wird von Verwaltung, Rechtssprechung, Rechtslehre und der “veröffentlichten Meinung” als eine Art unabänderliches Schicksal hingenommen.

Das Machtstreben einzelner Individuen ist deren unabänderliches Schicksal. Dem nachzugeben, das ist kollektive Dummheit, sie gipfelte im 20. Jahrhundert in den Sätzen

 “Führer befiehl, wir folgen”

und

“Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!”

 

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